Der SQUEAKER Ratgeber
Beispiel Case: Consumer Goods – Windeln
Case Study Beispiel Consumer Goods
Der folgende Case aus dem Bereich Consumer Goods stammt aus einem Vorstellungsgespräch bei der Boston Consulting Group.
Case Study: Boy's und Girl's Windeln
Die Aufgabe:
Der Lösungsweg gibt in erster Linie einen Einblick in den Ablauf eines typischen Case Interviews bei Unternehmensberatungen. Es gibt nie eine einzige richtige Antwort – der Weg ist das Ziel. Mach dir Gedanken, wie du an die Fallstudie herangegangen wärst, bevor du dir die Lösung am Ende der Seite ansiehst.
Tipps zur selbstständigen Lösung
Auf dem Weg zur Case-Lösung helfen dir folgende Informationen von Bain, die bereits aus internen und externen Interviews sowie entsprechender Recherche zusammengetragen wurden :
- Die Stromerzeugung in Deutschland geht zu ca. 30 Prozent an private Haushalte, und es ist insgesamt von einer zusätzlichen Reserveproduktion von ca. 10 Prozent auszugehen. Nehmen Sie in diesem ersten Schritt stark vereinfachend eine hinsichtlich der Elektrizität ausgeglichene Import- und Exportbilanz für Deutschland sowie eine Gleichheit an Stromproduktion und -verbrauch an. Ungefähr 70 Prozent des Stroms wird von Kraftwerken erzeugt, bei denen Gasturbinen und Dampfturbinen zum Einsatz kommen.
- Weiterhin können Sie für diese Kraftwerke zunächst von einer durchschnittlichen jährlichen Stromproduktion von ca. 2,4 Terrawattstunden (TWh) aus durchschnittlich zwei Turbinen ausgehen. Je Turbine besteht nach ersten Informationen im Mittel ein potenzieller Service-Umsatz von bis zu 10 Millionen Euro über einen Zeitraum von durchschnittlich vier Jahren, was allerdings noch weiter geprüft werden muss.
- PowerCo hat in Deutschland ungefähr 25 Prozent der installierten Basis geliefert und könnte das Service-Programm mit entsprechendem Wissensaufbau an ca. 20 Prozent der installierten Wettbewerberturbinen anbieten.
Die Lösung der Case Study
Natürlich fehlt dir hier eine Vielzahl an Informationen. Es wird nicht von dir verlangt, mit detailliertem Wissen über die verschiedensten Märkte, Produkte und Unternehmen ins Gespräch zu gehen. Was von dir gefordert wird ist, dass du weißt, an welchen Stellen dir Informationen fehlen, und dass du gezielt nach diesen fragst, um den Case zu lösen.
Um strukturiert zu analysieren, wo die Ursache des Problems liegt, eignet sich das Konzept der Value Chain nach Porter. Die Value Chain Analyse untersucht – wie der Name schon vermuten lässt – die Prozesse entlang der Wertschöpfungskette. Du analysierst also die Prozesse Beschaffung, Produktion, Marketing & Vertrieb, Distribution und Service. Lass den Interviewer deinen Gedanken folgen:
“Um herauszufinden, warum die Boy’s & Girl’s Windeln vom Markt genommen werden mussten, möchte ich gerne eine Analyse der Wertschöpfungskette durchführen. Ich möchte die Prozesse für Boy’s & Girl’s Windeln miteinander vergleichen, um zu sehen, in welchem Unterschied der Problemfaktor liegt.”
Entlang der Wertschöpfungskette
Du überlegst einen Moment, und fragst dich, ob für Boy’s & Girl’s Windeln anderes Material beschafft werden muss als für Unisex-Windeln. Du fragst den Interviewer:
“Liege ich richtig in der Annahme, dass für Boy’s & Girl’s Windeln dieselben Rohstoffe wie für Unisex-Windeln beschafft werden müssen? Im Beschaffungsprozess gibt es doch keine Unterschiede, richtig?“
“Richtig, der Beschaffungsprozess ist derselbe geblieben. Der Produktionsprozess ist natürlich verändert worden, um die Differenzierung der Windeln zu ermöglichen. Doch es sind keine nennenswert höheren Kosten angefallen, so dass wir auch diesen Bereich ausklammern können. Auf welchen Bereich würden Sie Ihre Betrachtung weiter fokussieren?”
Dir bleiben die Bereiche Marketing & Vertrieb, Distribution und Service. Da der Interviewer bereits in der Eingangsfrage erwähnt hat, dass die neuen Produkte von den Kunden akzeptiert worden sind, kann es sich auch nicht um ein Marketing-Problem handeln. Auch den Service würdest du ausschließen, denn Windeln sind ein Produkt, bei denen es weder Garantie gibt noch ein aufwändiges After-Sales-Marketing notwendig ist, wie zum Beispiel bei teuren Gütern wie Autos.
“Marketing-Probleme scheint es nicht gegeben zu haben. Wie Sie bereits sagten, stieß das neue Produkt auf Akzeptanz bei den Konsumenten, da die geschlechtsspezifischen Windeln tatsächlich einen Mehrwert erzeugt haben. Auch den Service-Bereich halte ich nicht für relevant. Ich möchte daher die Distribution genauer betrachten.”
Durch gezieltes Nachfragen und sinnvolle Überlegungen ersparst du dir eine zu ausschweifende Analyse und vermeidest, dich zu verzetteln. Nun kannst du dich auf den Bereich Distribution fokussieren.
Case Study Beispiel Windeln: Lösung
Logistische Probleme wird es sicherlich auch nicht gegeben haben. Die Differenzierung in Windeln für Jungs und Mädchen führt nicht zu einer veränderten Packungsgröße, lediglich der Inhalt ändert sich. Die Ursache des Problems liegt im Handel: die Packungsgröße. Windeln sind sehr sperrige Produkte und Regalfläche in den Verbrauchermärkten ist knapp und somit teuer. Der Hersteller wird also – obwohl er nun zwei verschiedene Produkte anbietet – nicht automatisch die doppelte Regalfläche zur Verfügung haben. Es ist realistisch, dass er die bereits vorhandene Fläche nach Boy’s and Girl’s Windeln aufteilt, was bedeutet, dass von einer Produktart nur halb so viel Ware im Handel vorhanden sein kann.
“Das Problem ist die knappe und teure Regalfläche im Handel. Gehen wir davon aus, dass der Hersteller aus Kostengründen keine doppelte Regalfläche zur Verfügung hat, so haben wir verglichen mit Unisex-Windeln jeweils nur halb so viel Ware je Produktart im Verkauf. Das Regal ist somit schneller leer. Wenn der Konsument Girl’s Windeln kaufen möchte, diese aber ausverkauft sind, wird er nicht Boy’s Windeln kaufen, sondern zu einem Unisex-Konkurrenzprodukt greifen. Dadurch lässt sich ein Umsatzrückgang und die folgende Einstellung des Produktes erklären.”
Case Study Anschlussfrage: Marktschätzung
“Das ist ein wirklich sehr gutes Ergebnis. Doch lassen Sie mich eine weitere Frage stellen: Wie groß schätzen Sie das Marktvolumen für Baby-Windeln in Deutschland?”
Hier geht es wieder um eine Marktgrößenschätzung innerhalb eines Business Cases. Dies ist nicht selten, also sei flexibel und schalte schnell auf diese neue Fragestellung um! Um das Marktvolumen zu erreichen, musst du die Anzahl der jährlich in Deutschland verwendeten Windeln mit dem durchschnittlichen Preis einer Windel multiplizieren. Beide Faktoren müssen geschätzt werden:
“Als erstes möchte ich die Anzahl der jährlich verwendeten Windeln ableiten. Dazu treffe ich folgende Annahmen:
- Ein Baby benötigt in den ersten Monaten vielleicht sechs Windeln am Tag. Später vielleicht fünf oder auch nur vier. Ich gehe also von durchschnittlich fünf aus.
- Ich muss wissen, wie lange ein Kleinkind Windeln trägt. Als durchschnittliches Alter, in dem ein Kind “trocken” wird, nehme ich 2,5 Jahre an.
- Den Anteil der Altersklasse “Neugeborene bis 2,5-Jähre” schätze ich auf 2,5% der Gesamtbevölkerung und erhalte somit eine Größe von 2 Mio. (80 Mio. x 0,025).
- Da der Anteil an Personen in Deutschland, die Stoffwindeln verwenden, eher sehr gering ist, nehmen wir weiterhin an, dass alle Babys mit Einweg-Windeln gewickelt werden.
Die Case Study Anschlussfrage: Lösung
Die Anzahl der jährlich verwendeten Windeln in Deutschland beträgt somit 3,5 Mrd. Windeln (5 Windeln pro Tag x 350 Tage im Jahr x 2 Mio. Windelträger). Um das Rechnen zu vereinfachen, ist es durchaus legitim, mit runden Zahlen zu arbeiten. Mach es dir nicht unnötig schwer, immerhin triffst du ja die Annahmen. Also 80 Mio. Einwohner in Deutschland und 350 Tage im Jahr – statt 82,x Mio. und 365 Tage.
Nun fehlt nur noch der durchschnittliche Preis einer Windel. Dieser ist gar nicht so einfach zu ermitteln, denn du musst Preisunterschiede zwischen Einzel- und Großhandel berücksichtigen, die verschiedenen Windelarten, etc. Und vermutlich hast du noch keine Kinder und hast dir noch nie Gedanken über den Preis von Windeln gemacht. Sichere dich ruhig beim Interviewer ab. Erläutern Sie, welche Faktoren du berücksichtigen musst, um den Preis zu schätzen. Schließlich schätzt du 0,30 Euro als durchschnittlichen Preis. An der Reaktion des Interviewers wirst du schon merken, wenn du dich völlig verschätzt hast.
Der Marktwert errechnet sich nun wie folgt:
0,30 Euro pro Windel x 3,5 Mrd. Windeln = 1,05 Mrd. Euro p.a.